21. 10. 2021
Wieder zurück in Gotha! - Die verlorenen Meisterwerke
In einer stürmischen Dezembernacht 1979 wurden aus Schloss Friedenstein fünf wertvolle Altmeistergemälde gestohlen, die erst Anfang 2020 nach Gotha zurückkehrten. Ausgehend von diesem spektakulären Verbrechen, dem größten Kunstdiebstahl der DDR, beleuchtet die große Sonderausstellung „Wieder zurück in Gotha! Die verlorenen Meisterwerke“ die wechselhafte Geschichte der Gothaer Kunstsammlungen.
Die Sammlungen der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha nehmen hinsichtlich ihrer Größe und Vielfalt im mitteldeutschen Raum eine Sonderrolle ein. Aus einer jahrhundertealten fürstlichen Sammelleidenschaft erwachsen, reichen die Bestände von naturkundlichen Objekten über Gemälde, Skulpturen, Kunsthandwerk, Grafik, Münzen und Medaillen, antike Gegenstände, Architekturmodelle, wissenschaftliche Instrumente und Möbel bis hin zu Ethnographica und Asiatika. Flankiert werden diese Sammlungen von der Forschungsbibliothek Gotha, einer umfangreichen historischen Bibliothek mit Hand- und Druckschriften, heute selbstständiger Bestandteil der Universität Erfurt, und dem Thüringer Staatsarchiv Gotha mit zahlreichen Quellen zur Sammlungs- und Residenzgeschichte. Kunst, Natur und Wissenschaften bilden in Gotha bis heute eine integrative Einheit, die sich auf den frühneuzeitlichen Kunstkammergedanken zurückführen lässt.
Diese einst fürstlichen Sammlungen nahmen ihren Anfang mit der Einrichtung der Kunstkammer auf Schloss Friedenstein durch Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1601-1675) im Jahr 1653. Die nachfolgenden Fürsten erweiterten die Sammlungen stetig, sie dienten der Repräsentation, sollten aber auch Bildung und Wissenschaft fördern und waren zu diesem Zweck jedem zugänglich. Im 18. Jahrhundert wurde Gotha dann auch zu einem wichtigen Ziel für Bildungsreisende. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert begann mit dem Bau des Herzoglichen Museums die wissenschaftliche Erschließung der Sammlungen. Dem ersten 1890 in der Reyher‘schen Hofbuchdruckerei erschienenen Katalog der Gemäldegalerie von Carl Aldenhoven, dem Direktor des neu gegründeten Museums, kam dabei eine besondere Rolle zu, weil er den Gothaschen Bestand international bekannt machte.
Seit den Goldenen Zeiten mit der Eröffnung des Herzoglichen Museums 1879 mussten die Sammlungen nach 1918 und vor allem nach dem zweiten Weltkrieg einschneidende Verluste hinnehmen. Drei Faktoren führten zu tiefgreifenden Reduktionen an Struktur und Substanz der Sammlungen. Zunächst war es die Herzogliche Kunststiftung selbst, die Inkunabeln der Sammlung in den Kunsthandel gab, um die Finanzierung der Stiftung zu gewährleisten. Später wurden wesentliche Sammlungsschätze nach Coburg verlagert, um diese vor dem Zugriff durch dir Rote Armee zu bewahren. Darüber hinaus kam es zu unkontrollierten Verkäufen und zu Diebstählen bis 1948. Der weitreichendste Faktor war aber der Abtransport zentraler Sammlungsteile durch die Sowjetischen Trophäenbrigaden 1946. Neben dem Museum war hiervon auch die Bibliothek betroffen.
Nach den Verlusten konnten die Sammlungen aber auch viele glückvolle Rückführungen erleben. 1958 wurden Teile der Gothaer Bestände aus der UdSSR zurückgeführt und seit den 1990er Jahren konnten die Bemühungen verstärkt werden, verloren gegangene Objekte für Gotha zurückzugewinnen. Mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Rudolf-August Oetker-Stiftung und privaten Förderern ist es über die Jahre gelungen, hochkarätige Kunstwerke wieder in die Sammlungen einzugliedern. Die jüngst erfolgte Rückkehr der fünf Meisterwerke stellt in diesem Zusammenhang einen Höhepunkt dar und lässt hoffen, dass in Zukunft weitere Inkunabeln, die für immer verloren geglaubt waren, der Öffentlichkeit in Gotha wieder präsentiert werden können.
Die Ausstellung zieht anhand von Beispielen hochkarätiger Werke der Malerei, Grafik, Numismatik und des Kunsthandwerks die abenteuerlichen und vielgestaltigen Wege der Objekte nach und zeigt die Umstände ihrer Rückkehr auf. Im Mittelpunkt stehen dabei die jüngst zurückgekehrten Gemälde des Diebstahls von 1979, die erstmals in restauriertem Zustand und in historischen Rahmen präsentiert werden. Darüber hinaus bieten historische Dokumente, von den alten Sammlungsinventaren über handschriftliche Briefe bis hin zu Stasi-Akten, den BesucherInnen die Möglichkeit, selbst auf Spurensuche zu gehen und die Geschichten der Werke nachzuvollziehen. Im Niederländer-Saal des Herzoglichen Museums ist die ursprüngliche Hängung des 19. Jahrhunderts rekonstruiert worden. Diese Petersburger-Hängung führt wie in einem Schattenkabinett vor Augen, wie erheblich die Verluste heute immer noch sind.
Ausgehend von dieser Situation arbeitet die Gothaer Provenienzforschung an einer systematischen Aufarbeitung der Verlustlinien, die neben als verschollen geltenden Objekten auch Werke betreffen, die sich heute in anderen öffentlichen oder privaten Sammlungen befinden und deren Besitzverhältnisse als gesichert gelten. Gotha kann somit exemplarisch für ein spannendes Kapitel deutsch-deutscher Geschichte stehen, das bis heute nicht abgeschlossen ist.
Die Sonderausstellung ist offiziell ab Sonntag, 24. Oktober 2021 geöffnet. Wegen des zu erwartenden großen Interesses wird die Ausstellung bereits am Samstag, 23. Oktober 2021, von 18 bis 22 Uhr und am Sonntag, von 10 bis 20 Uhr geöffnet sein. Zudem wird ein Rahmenprogramm aus verschiedenen Führungen angeboten. Sollte es die Coronalage erlauben, sind im kommenden Jahr auch weitere Vorträge, Podiumsdiskussionen und Aktionen rund um die Ausstellung geplant. Das Programm ist online immer aktuell einsehbar.
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Michael Imhof Verlag erschienen.