3. 04. 2023
Zum Jahrestag der Befreiung des KZ-Komplexes Ohrdruf werden zwei Biografien sichtbar
Die Befreiung des KZ-Kompexes Ohrdruf jährt sich am 4. April 2023. Anlässlich dieses Jahrestages veröffentlicht die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha zwei bewegende Filmbeiträge auf ihrem YouTube-Kanal. Diese beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit zwei Biografien, die sich in Ohrdruf kreuzten: ein etwa 30-minütiges Zeitzeugengespräch mit dem Ukrainer Petro Mischtschuk und ein etwa 8-minütiger Audioslide-Film mit dem Nachfahren des Niederländers Nicolaas Droog. Am 9. Januar 1945 kam Droog nach Ohrdruf, wo sich Petro Mischtschuk bis zum 15. Januar 1945 aufhielt.
Ohrduf war das erste Konzentrationslager, das die US-Alliierten befreiten. Es war das erste Lager, in dem sie Tote und überlebende Zeugen vorfanden. Im sogenannten „Horror Camp“ wurden für die amerikanische Öffentlichkeit erstmals die Gräueltaten der Nationalsozialisten sichtbar, von denen sie bislang nur gehört hatten. Am 4. April 1945 befreiten die US-Alliierten den Lager-Komplex zwischen Gotha, Ohrdruf und Arnstadt mit seiner Zwangsbaustelle im Jonastal.
Die „Deutsche Erinnerungslücke KZ Ohrdruf“, ein kollektives Bildungsprojekt der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha u.a. in Kooperation mit Arolsen Archives, der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und der Weimarer Mal- und Zeichenschule, erinnert an das in Deutschland vergessene Lager. Das Projekt will insbesondere den 20.000 Menschen, die aus verschiedenen Ländern Europas verschleppt worden sind, das zurückgeben, was sie mit Eintritt ins Lager abgeben mussten: Ihren Namen. „Bei unserem Denkmalprojekt“, sagt Projektleiter Christoph Mauny, „geht es immer wieder darum, Nähe herzustellen, Beziehungen aufzubauen. Beziehungen zwischen Menschen. Beziehungen zwischen den Zeiten, zwischen den Toten und den heute Lebenden.“
Nähere Informationen zu den Filmen:
Ein beauftragtes ukrainisches Filmteam um Dariia Lozovyk traf – während des anhaltenden russischen Angriffskriegs – einen der letzten Überlebenden Petro Mischtschuk. Mischtschuk durchlebte mehrere Konzentrationslager, darunter Auschwitz, Buchenwald, Sachsenhausen und Ohrdruf. Auf einem endlosen Hunger- und Todesmarsch Richtung Nordsee und wieder zurück ins Landesinnere kam die amerikanische Befreiung. Er lief weg, zu Fuß und ohne Habseligkeiten, zurück in seine ukrainische Heimat, in der er heute hochbetagt lebt. Geboren wurde er am 10. Juli 1926 in Kyssylyn, Wolynien.
„Ich war fünf Jahre in Lagern. Dasselbe wie im Tod. Sie haben mich im Frühjahr 1942 weggebracht. Und bis 1945 war ich weg. […] Und so ging ich durch 13 Lager. Ich sah, wie Menschen getrieben, verbrannt, gefoltert wurden, wie Zähne ausgeschlagen wurden… Ja, ich habe gesehen! Außerdem habe ich getragen – die Toten getragen! Ich bin der einzige Überlebende von dort.“ „Das schrecklichste Lager war Ohrdruf ‚SIII‘. Niemand blieb von Ohrdruf zurück. Was ist Ohrdruf? Ich bekam die Nummer 105105 in dem Lager. […] Wir haben Tag und Nacht gearbeitet. Nicht stundenweise, es gab keine Arbeitsstunden. Und keine Uhren.“
PETRO MISCHTSCHUK (Zeitzeugengespräch):
35 min | Ukrainischer Originalton mit deutschen Untertiteln
https://youtu.be/9vurKLiJnyA
PETRO MISCHTSCHUK (Trailer)
1:49 min | Ukrainischer Originalton mit deutschen Untertiteln
https://youtu.be/aEu5mhQmZnI
Der niederländische Schriftsteller Bart FM Droog hat sich gemeinsam mit dem Projektteam auf Spurensuche begeben nach dem Bruder seines Vaters, den wahrscheinlich in Ohrdruf getöteten Nicolaas „Nic“ Droog. Die Medienkünstler Andreas Kubitza und Boris Hajduković zeichnen ein aufrüttelndes Doppel-Porträt mit einer ergreifenden Collage aus Fotografie und Sound.
Nicolaas Droog, geboren am 15. Juli 1920 in Roermond, kommt 1943 als Zwangsarbeiter nach Berlin. Am 27. November 1943 wird er ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, am 23. Dezember 1944 weiter nach Buchenwald. Seine Spur verliert sich am 18. März 1945 im KZ-Komplex Ohrdruf/Jonastal.
Bart FM Droog über seine Eindrücke nach der Begehung des öffentlich nicht zugänglichen ehemaligen KZ-Geländes auf dem Truppenübungsplatz in Ohrdruf: „Es gibt nichts mehr. Nur diese schöne Landschaft. Alles so abstrakt. Es war eine Hölle auf Erden. Aber wie es jetzt aussieht – es ist so schön, die Gegend. […] Es bleibt unfassbar.“ „Ein Leben kann man nur abschließen, wenn es ein richtiges Grab gibt, glaube ich. [...] Es wäre gut, wenn all die Namen von den Häftlingen dort zu lesen sind. Grabsteine für jeden individuellen Häftling. Dann kann jedes Familienmitglied den einzelnen Stein besuchen und Blumen legen. Aber das wird nie passieren, fürchte ich.“
NICOLAAS DROOG (Audioslide)
12 min | Deutsch
https://youtu.be/fAlb_D5_at8
Bart FM Droog – In Deutschland (Fahrstuhl-Outtake)
2:29 min | Deutsch mit deutschen und niederländischen Untertiteln
https://youtu.be/R3IxOH6ZxsU